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Montag, 18. August 2008

kœnigsblau

Urs Dietler

rauschen iii | æsthetische erfahrung entsteht in der differenz, die zu einem spricht. so auch damals. mit einem klassenkameraden durchstreifte ich auftrags eines offenen schulischen projekts das kunstmuseum basel. es muss mein erster besuch in einer kunstsammlung gewesen sein, kam mir doch alles faszinierend und fremd zugleich vor, selbst die bilder, die sich dem, was ich als realität erlebte, am meisten näherten; denn auch sie zeigten jenen verwandelnden blick, den nur – und hier traf ich sie zum ersten mal – künstler haben. natürlich war holbein präziser als ferdinand léger, aber da war dieses überschreiten in seinen porträts, das mich von da an gesichter anders sehen liess; dass ein mensch über sich hinausweist – er machte es für mich sichtbar. und dennoch.

die erste – sozusagen – æsthetische erfahrung meines lebens widerfuhr mir ein stockwerk höher, stand ich doch da plötzlich vor einem bild, das ich zunächst als bild gar nicht wahrnahm. ein hohes, schlankes rechteck, ganz in einem monochromen blau gehalten, schimmerte in tiefem königsblau gleichsam in die wand hinein. es war mir nicht möglich, an dieser erscheinung einfach vorbeizugehen wie an vielen andern, die ich kopfnickend dem aufseher überliess. trotz der verhaltenheit hatte dieses blau etwas überwältigendes, dem ich nur mit dem gang zum beschriftungsschild etwas distanz – cognitive approaching würde man heute sagen – meinte entgegenzusetzen zu können. doch gerade dies verstärkte das enigmatische dieses ereignisses. ich glaube in nachhinein nicht, daß ich irgendetwas erwartet, aber noch erschüttert mich dies: ›the day before one‹, barnett newman. es war der einzige titel, der mir damals diesem blau, das übrigens in sich sehr differenziert, ja moduliert ist, zumutbar erschien. und ich schwankte zwischen ›das ist es‹ und ›das ist es‹.

zur zeit überlege ich, ob ich diesem bild, das ich seither nicht mehr betrachtet habe, wieder begegnen soll. es hängt noch dort, sagte die frau an der kasse, als ich anrief.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

das geschilderte erlebnis erinnert mich an mein eigenes, daß ebenfalls viele jahre zurückliegt.
Als jugendliche besuchte ich mit meinem kunstkurs die dokumenta.
die geballte konfrontation mit aktueller kunst war für mich etwas neues und mein mangelndes kunstverständnis drückte sich durch eine gewisse jugendliche überheblichkeit aus.
schon zu beginn der ausstellung, stolperte ich über eine etwas überdimensionierte imitation eines kothaufens, den ich abschätzig als "überflüssigen blödsinn" abtat.
Während meine mitschüler unachtsam an einem gemälde vorbeischlenderten, sollte jene wirkung jedoch mein verständnis und empfindungsvermögen von gegenwärtiger kunst auf die probe stellen...Ich blieb stehen, für eine ganze weile, sehr nah und betrachtete es. dieses werk, bildete auf riesiger fläche, literweise, in schichten, die leinwand herunterrinnende farbe ab. die vorgehesweise des künstlers war kein geheimnis. vermutlich auf einer leiter stehend, kippte der künstler verflüssigte farbe aus geeigneten behältnissen, am oberen bildrand ansetzend, über die Leinwand...viel gelb, viel blau...das als "wasserfall" betitelte werk erschien weder meisterlich, virtuos, noch geschickt in seiner ausführung. meine kenntnis um die betitelung schien im sinne des wortes "überflüssig". der "wasserfall" war aus seiner abstrakten gestalt heraus sichtbar. so sichtbar, dass es mich aufforderte es eingehender zu betrachten. warum? was war es? die plastizität der farbe durch den reliefartigen auftrag, durch den die farbe selbst einen taktilen charakter zu haben schien, das alles auf riesiger Fläche...?
Eine starke Empfindung die sich vergleichen ließe mit "das ist es" und "das ist es" (urs dietler), ließ mich gleichzeitig ahnen, dass dies ein moment einer versöhnung war. ich spürte, dass sich hier ein künstler leiten ließ ohne technisches geschick und dennoch mit einer zielsetzung, bei der sicherlich jeglicher verweis auf eine mühevolle ausführung, das abgebidetet beschädigt hätte. mein wandernder blick über die bewegten massen herunterrinnender farbe, liessen mich zumindest an dieser arbeit nichts mehr anzweifeln.
es rauschte....

die neugierde, diesem damaligen phänomen noch einmal nachzuspüren, kann ich verstehen. Ob der neue eindruck, dem alten standhalten kann oder ihn abschwächt, würde ich ganz entspannt auf mich zukommen lassen...
ich wäre über den "neuen blick" auf "the day before one" übrigens sehr gespannt. inga