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Montag, 25. August 2008

mein blick formt dich

Christiane Haid

›Mein Blick formt dich‹ ist nur die eine, vielleicht die unangenehmere, provokativere Seite der Medaille. Die andere lautet: Dein Blick formt mich – wir sind also beide am ›formen‹. Jeder kennt die Wirkung, die ein Blick erzeugen kann: er kann uns aufmuntern, tragen, anfeuern, erheitern, wärmen, bekräftigen, aber auch klein machen, abschätzen, bannen, fallenlassen, lähmen, vernichten.

Wer den hoffnungs- und erwartungsvollen Blick eines Menschen kennen gelernt hat – allerdings ohne festgelegtes Ziel und Ergebnis – der einen über Jahre begleitet, wird die Wachstumskraft jenes Blickes erfahren haben: Er wird sich an die kräftigende Macht erinnern, die nicht gekannte Fähigkeiten und Möglichkeiten aus den tiefsten Schichten herausgerufen hat. – Wenn einem dagegen nur Schlechtes zugetraut wird, dann ist das Wachstum möglicherweise gering, es stagniert. Hier sind dann alle vorhandenen Widerstandskräfte aufzubieten, um sich zu schützen oder zu behaupten. Es gilt nun – autonom – sich aus eigenen Kräften zu finden. Doch – stimmt es wirklich, dass der Blick formt?

Wer etwas erzählt oder gar vorträgt, kann die Erfahrung machen, dass es der Blick eines Zuhörers ist, der ihn im Darstellen trägt und dem Inhalt, der vermittelt werden will, sogar Flügel verleihen kann. Hinterher stellt sich heraus, dass man etwas gesagt hat, an das man noch nie vorher gedacht hatte – Neues ist im Dialog mit dem Blick möglich geworden. Wie anders ist es dagegen, wenn die Zuhörer zu Boden blicken...

Was hat der Blick hier für eine Qualität? Wohl mehr die der Tragkraft, des Mitgehens, Hingebens als Formen – wieder eine neue, allerdings ganz andere Facette des Phänomens ›Blick‹.

Was also hat es mit der Kraft des Blickes auf sich? Ist hier überhaupt von Ästhetik die Rede?
Der Basler Philosoph Heinrich Barth (1890-1965) sah im Ästhetischen nicht nur eine Eigenschaft, die für die Erscheinung in Frage kommt. Er legt in seinem Hauptwerk ›Erkenntnis der Existenz‹ dar, dass es in der Erkenntnis des Ästhetischen ›viel mehr um das, was die Erscheinung erst zur Erscheinung macht‹, geht. Man könnte hier denken, dass es sich um ein Wortspiel handelt: ›das, was die Erscheinung erst zur Erscheinung macht‹. Doch wurde eingangs deutlich, dass unser Blick bereits ein formendes Element beinhaltet. Wir haben noch nicht den reinen, unverstellten Blick des Kindes, sondern schauen aus oder mit der Vergangenheit unserer Erfahrungen, Deutungsmuster, Anschauungen, kulturellen Prägungen etc. Von diesen losgelöst erst kann von einem gegenwärtigen Erscheinen der Erscheinung gesprochen werden. Es ist der Augenblick, in dem sich etwas ereignet, – in dem, um es mit Barth zu sagen, ›etwas auf dem Spiel steht‹: das Erscheinen der Erscheinung, womit Æsthetik schlechthin gemeint ist.


Heinrich Barth: ›erscheinenlassen‹, ausgewählte Texte aus Heinrich Barths Hauptwerk ›Erkenntnis der Existenz‹ mit Hinführungen von Rudolf Bind, Georg Maier, und Hans Rudolf Schweizer, Basel 1999

1 Kommentar:

Sebastian Gronbach hat gesagt…

Liebe Christiane Haid,

danke - ein schöner und stärkender Beitrag.

Gerade als Redner kenne ich die tragende Kraft eines Blickes, aber auch den Blick der sich entzieht und somit mir Kraft entzieht.

Sehr oft gehe ich dann unmittelbar in einem Vortrag auf diese Blicke ein. Dann formen wir gemeinsam eine neue Form, in der wir uns begegnen. Etwas neues erscheint und ich meine, es geht über uns hinaus. Sehr spannend.

Herzlich
Sebastain Gronbach