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Samstag, 27. September 2008

Samstag, 20. September 2008

Donnerstag, 18. September 2008






das taschenbuch zu anderzeit 2

frisch aus der druckerei 116 seiten text und bild

Text von u. a. Friedrich Hölderlin, Rudolf Steiner, Wolf-Ulrich Klünker, Stefan Brotbeck, Friedrich Nietzsche, Walter Benjamin, Johannes Kiersch, Bodo v. Plato, Gottfried Stockmar, Jochen Bockemühl, Christiane Haid, Louis Deféche, Michael Schäfer, Lisbeth, Johannes Nilo, Johann Sommer, Philipp Tok, …

16 Seiten in Farbe, mit Beiträgen von Albert Steffen, Johann Sommer, Stephane Zwahlen, Corinna Holbein, Lisbeth, Christina Gerodetti, …

Inklusive: projekt.zeitung-kalender.texte

Erhalt des Buches nach Tagungsanmeldung.
Direkt bestellen bei benjamin(at)projektzeitung.org

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Sonntag, 14. September 2008

das letzte und grœsste

›Himmelreich auf Erden‹ informierte ein Schild an der Tür des Studentenzimmers von Schelling, Hölderlin und Hegel im Tübinger Stift am Ende des 18. Jahrhunderts. Gegenseitig begrüssten sie sich mit den alten griechischen Worten ἕν καὶ πᾶν [hen kai pan] – Alles ist eins. – 1913 taucht bei einer Auktion ein loses handschriftliches Blatt von Georg Wilhelm Friedrich Hegel auf. Vier Jahre später wird es veröffentlicht als ›Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus‹ von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Heute findet sich der Text in der Gesamtausgabe von Hegel. Eine Fülle an Abhandlungen über die Zuweisung des Textes zu einem Autor entstanden. In der Zuweisung des Textes zu Johann Christian Friedrich Hölderlin folgen wir der Argumentation Eckehard Försters, die besonders durch die Bezugnahme auf die Motive von Hölderlins ›Hyperion‹ überzeugt. – Der Text beginnt mitten im Satz ›– eine Ethik.‹ Es handelt sich um einen programmatischen Entwurf für ein philosophisches System bzw. eine aus formulierte Gesinnung im Hinblick auf eine zu erschaffende vernünftige Mythologie. – Für den Arbeitskontext von ANDERZEIT II ist die Lebenskraft und Ursprünglichkeit dieses Textes das Auswahlkriterium. Die Vielzahl der möglichen Bezüge sind zunächst dem Leser überlassen. Das Fragment findet sich hier auf Zugänglichkeit und Lesbarkeit hin gekürzt und bearbeitet. Der vollständige Text findet sich in der Hegelgesamtausgabe oder unschwer im Internet.


Friedrich Hölderlin

Einheit der Vernunft und des Herzens – Vielgestalt der Einbildungskraft und der Kunst | Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewußten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus Nichts. – Die Frage ist diese: Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein? Ich möchte unserer langsamen, an Experimenten mühsam schreitenden Physik einmal wieder Flügel geben.

So, wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die Data angibt, können wir endlich die Physik im Großen bekommen, die ich von späteren Zeitaltern erwarte. Es scheint nicht, daß die jetzige Physik einen schöpferischen Geist, wie der unsrige ist oder sein soll, befriedigen könne.
Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk. Die Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig als es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören.

Ihr seht von selbst, daß hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden u.s.w. nur untergeordnete Ideen einer höheren Idee sind: Zugleich will ich hier die Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit niederlegen und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung bis auf die Haut entblößen. Endlich kommen die Ideen von einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit, – Umsturz alles Afterglaubens, Verfolgung des Priestertums, das neuerdings Vernunft heuchelt, durch die Vernunft selbst. – Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tragen und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich suchen dürfen.

Zuletzt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit, das Wort in höherem platonischen Sinne genommen. Ich bin nun überzeugt, daß der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfaßt, ein ästhetischer Akt ist und daß Wahrheit und Güte nur in der Schönheit verschwistert sind. Der Philosoph muß ebensoviel ästhetische Kraft besitzen als der Dichter. Die Menschen ohne ästhetischen Sinn sind unsere Buchstabenphilosophen. Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man kann in nichts geistreich sein, selbst über Geschichte kann man nicht geistreich raisonnieren – ohne ästhetischen Sinn. Hier soll offenbar werden, woran es eigentlich den Menschen fehlt, die keine Ideen verstehen – und treuherzig genug gestehen, daß ihnen alles dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinausgeht.
Die Poesie bekommt dadurch eine höhere Würde, sie wird am Ende wieder, was sie am Anfang war – Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben.

Zu gleicher Zeit hören wir so oft, der große Haufen müsse eine sinnliche Religion haben. Nicht nur der große Haufen, auch der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, dies ist‘s, was wir bedürfen!
Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die, soviel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist – wir müssen eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie muß eine Mythologie der Vernunft werden.

Ehe wir die Ideen ästhetisch, das heißt mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse; und umgekehrt, ehe die Mythologie vernünftig ist, muß sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muß philosophisch werden und das Volk vernünftig, und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter uns. Nimmer der verachtende Blick, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Priestern. Dann erst erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller Individuen. Keine Kraft wird mehr unterdrückt werden. Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister! – Ein höherer Geist, vom Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte, größte Werk der Menschheit sein.

Kürzung und Einleitung von Ph. Tok | Quelle des vollständigen Fragments: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 1, Frankfurt a. M. 1979, S. 234-237.

Montag, 8. September 2008

sættigt eure seelen

In wütendem Ton fährt Nietzsche seine Betrachtungen über den Wert oder eben Unwert der Geschichte. Nietzsches Überspannen von Zukunft und Vergangenheit tönt wie ein Leitmotiv zur Beantwortung der Frage ›Was ist an der Zeit?‹ – Einen Kampf gegen die lärmende Gegenwart und die lähmenden Historismen will er entfachen mit reifen Seelen, die sich an großen Heldensagen, am Epos gesättigt haben. – Die æsthetischen Phänomene sieht Nietzsche als die eigentliche Quelle der Kultur, übergeordnet jeglicher Wahrheit: ›Nur als æsthetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt.‹


Friedrich Nietzsche

Geschichte schreibt der Erfahrene und Ueberlegene. Wer nicht Einiges grösser und höher erlebt hat als Alle, wird auch nichts Grosses und Hohes aus der Vergangenheit zu deuten wissen. Der Spruch der Vergangenheit ist immer ein Orakelspruch: nur als Baumeister der Zukunft, als Wissende der Gegenwart werdet ihr ihn verstehen. Man erklärt jetzt die ausserordentlich tiefe und weite Wirkung Delphi‘s besonders daraus, dass die delphischen Priester genaue Kenner des Vergangenen waren; jetzt geziemt sich zu wissen, dass nur der, welcher die Zukunft baut, ein Recht hat, die Vergangenheit zu richten. Dadurch dass ihr vorwärts seht, ein grosses Ziel euch steckt, bändigt ihr zugleich jenen üppigen analytischen Trieb, der euch jetzt die Gegenwart verwüstet und alle Ruhe, alles friedfertige Wachsen und Reifwerden fast unmöglich macht. Zieht um euch den Zaun einer grossen und umfänglichen Hoffnung, eines hoffenden Strebens. Formt in euch ein Bild, dem die Zukunft entsprechen soll, und vergesst den Aberglauben, Epigonen zu sein. Ihr habt genug zu ersinnen und zu erfinden, indem ihr auf jenes zukünftige Leben sinnt; aber fragt nicht bei der Geschichte an, dass sie euch das Wie? das Womit? zeige. Wenn ihr euch dagegen in die Geschichte grosser Männer hineinlebt, so werdet ihr aus ihr ein ober-stes Gebot lernen, reif zu werden, und jenem lähmenden Erziehungsbanne der Zeit zu entfliehen, die ihren Nutzen darin sieht, euch nicht reif werden zu lassen, um euch, die Unreifen, zu beherrschen und auszubeuten. Und wenn ihr nach Biographien verlangt, dann nicht nach jenen mit dem Refrain ›Herr So und So und seine Zeit‹, sondern nach solchen, auf deren Titelblatte es heissen müsste ›ein Kämpfer gegen seine Zeit.‹ Sättigt eure Seelen an Plutarch und wagt es an euch selbst zu glauben, indem ihr an seine Helden glaubt. Mit einem Hundert solcher unmodern erzogener, das heisst reif gewordener und an das Heroische gewöhnter Menschen ist jetzt die ganze lärmende Afterbildung dieser Zeit zum ewigen Schweigen zu bringen.

Friedrich Nietzsche, 1874 ›Unzeitgemässe Betrachtungen, Zweites Stück – Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben‹

Donnerstag, 4. September 2008

der kuenstler hat immer recht

Thomas Rieser

In seinen 16 Jahren unermüdlichen Einsatzes musste der ›Alpine Man‹, Hauptdarsteller in Paul McCarthy’s Installation ›The Garden‹*, viele Male repariert werden. Die konstante Tätigkeit des (wie er auch genannt wird) ›Tree Fuckers‹, ließ sowohl die Technik ausfallen, als auch die Gliedmaßen abfallen. McCarthy hätte die ausrangierten ›Fuckers‹ gerne weiter verwendet: ein neues Kunstwerk, das ›Old Fuckers Senior Home‹ schwebte ihm vor, in dem alle dienstalten ›Alpine Men‹ einen Alterssitz gefunden hätten. Der Eigentümer der Installation konnte an dieser Idee jedoch keinen Gefallen entwickeln, er wollte den originalen ›McCarthy‹ behalten. Der Willen des Sammlers galt, und der Künstler hatte keine Macht über seinen ›McCarthy‹.
Das ›Old Fuckers Senior Home‹ wurde nie gebaut.

Was ist original an einem Kunstwerk? Ist Original das Geschaffene, oder das Entstehende? Die kleine Anekdote von ›The Garden‹ zeigt zwei Horizonte auf. Die Definition des ›Originals‹ wird unmöglich, da sie auf der Perspektive des Argumentierenden beruht. Wenn die Essenz des Originals in diesem Sinne variabel ist, woran entzündet sich dann die ästhetische Erfahrung? Gibt es ein Fundament auf das sie sich bezieht?

In meinem Horizont liegt die ästhetische Erfahrung auf dem Fundament des Potentiellen. Die Möglichkeit, oder auch Fähigkeit eine Möglichkeit zu erkennen und dann zu erleben, führt zu einer Erfahrung die ästhetisch ist. Das Kunstwerk ›The Garden‹ hörte in dem Moment auf Kunst zu sein, in dem der Besitzer dem Künstler verbot es weiterzuführen. Der ›Alpine Man‹ ist ein trauriger ›Fucker‹, das ›Senior Home‹ hätte ihm ein Altern in Würde erlaubt. Die ästhetische Erfahrung liegt in dem Potential der Anekdote, nicht in dem aktuellen Kunstwerk.


*Paul McCarthy, The Garden. 1992. Installation, Collection Jeffrey Deitch, New York, NY.

Montag, 1. September 2008

ein schloß ist kein luxus

Gottfried Stockmar

[…] weil die menschliche Gestalt nicht Natur ist; sie ist nicht Natur! Viele Menschen fühlen sich heute nicht unfrei im Denken - das mag auch sein - die Frage ist aber, kann ich mich frei bewegen, kann ich aufrecht sein in meiner Gestalt? Kann ich angemessen leben und habe ich einen Raum? - übrigens ist auch das ein Motiv, ein Gutshaus zu kaufen […]. Ich habe mich immer gefragt: Wie groß muss eine Tür sein, wo die menschliche Gestalt, ohne sich zu bücken, durchgeht, und wie hoch muss ein Raum sein? Ich glaube nicht, dass kleine Kinder im Märchen irgendwie ein Schloss als Luxus ansehen, sondern das ist sozusagen die angemessene […] der menschlichen Gestalt; man wird nicht untergebracht. Ja, wie gesagt, das ist ein langes Thema!

Auszug aus einem Vortrag während anderzeit 1, Oktober 2007