æsthetische erfahrung in zeiten des weissen rauschens (ii)
ihn zu übersehen war ein leichtes und wäre da nicht diese ruhe um ihn gewesen, so hätte ihn mein blick kaum gestreift. so aber konturierte sich zunächst das rote ornament entlang des etwas hilflos geschnitzten indianerbootes, das hier inmitten der grossstadt einen kleinen park aufwertete. der mann, der wohl dubois heissen könnte, befand sich gleichsam im mittelpunkt eines bildes, dessen komposition ich zunächst als ganze erfasste und die vollkommen schien. dieser moment birgt die æsthetische erfahrung, die wesentlich und immer durch unausgesprochene ganzheit geprägt ist. mit nur leichter verzögerung blitzten die einzelnen bildelemente auf, sich wie in einem relief kurz abhebend: die geschwungene spitze des bootes, die bemalten holzklötze, auf dem es ruht, die sorgsam – als sässe er zuhause – am boden aufgesetzten füsse des mannes, der die schiefe exotik seiner sitzfläche wohl nicht wahrnahm. daß der baum hinter ihm gleichsam aus seinem rücken hervorwuchs, lag an meinem – nicht gewählten – blickwinkel, gab dem bild jedoch einen inneren halt. mag sein, daß erst diese aufrechte linie mich zum stehen bleiben bewog und die fotografie veranlasste, die mir jetzt zur betrachtung zur verfügung steht. sah ich damals, was ich jetzt sehe? lässt sich die æsthetische erfahrung wiederholen – oder erinnern? ob die ursprüngliche erfahrung am stärksten war, kann ich nicht beurteilen, sie war aber eines: gesättigt und unwiederholbar. sie enthielt neben dem ›bildaussschnitt‹ die ganze peripherie in ihrer umfassenden sinnlichkeit. die erinnerung unterwegs – noch vor dem betrachten der fotografie – war stark, aber unscharf im nachklang. das fotografische bild jedoch verdrängte sofort das ursprüngliche und erzeugte eine neue, genuine erfahrung, die sich beliebig vertiefen und durch eingehende betrachtung laufend verändern lässt.
1 Kommentar:
schön
Michael
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