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Montag, 4. August 2008

großer abflug

Lisbeth


›Nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt.‹
Friedrich Nietzsche

Als ästhetisches Phänomen.
Ästhetik hieß früher einmal das, was zur Erscheinung kommt gegenüber dem, was nicht zur Erscheinung kommt, also im rein Geistigen verbleibt, nicht sinnlich erfahrbar ist.
Die Lehre von den Erscheinungen begrenzte sich später auf einen bestimmten Bereich der Erscheinungen, nämlich auf die schöne Erscheinung, oder, wie Friedrich Schiller in seiner Abhandlung über die ästhetische Erziehung des Menschen es nennt, den schönen Schein, was bei ihm freilich nichts zu tun hat mit einer dahinter versteckten Häßlichkeit, sondern gerade mit einer der Idee der Schönheit adäquaten Form.
Seit uns die Begriffe von dem, was schön ist, nichts mehr sind, über das man sich ohne weiteres einigen könnte, ist auch die Ästhetik bzw das Verständnis, das wir von ihr haben, ins Wanken geraten.

Als Erscheinungslehre nutzt sie uns nicht mehr viel, weil wir uns ziemlich abgewöhnt haben, ein Geistiges vorauszusetzen, zu dem die Erscheinung die andere Seite sein könnte.
Als Lehre von der schönen Erscheinung nutzt sie uns ebenso wenig, weil sich niemand dem Vorwurf der romantischen Vergangenheitssehnsucht aussetzen will und das gewollt Schöne oder beabsichtigt Poetische fast vorsätzlich in seichte Phrasen abrutscht und unglaubwürdig das Lied von der besseren Welt anstimmt, von der keiner mehr was hören will, der die notwendige Entzauberung vollzogen hat und in eine verkündigungsbefreite Welt hinein aufgewacht ist.
Wir haben heute existentielle Bodenhaftung.

Die schöne Erscheinung hat die allgemeine Erscheinung überwunden.
Aber von was wird die schöne Erscheinung überwunden? Von ihrer Abschaffung.
Nach der Schönheit kommt, im Sinne Platons gesprochen, der Tod.
Der Tod. Also nichts mehr, was erscheinen könnte.

›Nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt.‹

Ist das ästhetische Phänomen nicht mehr geistgetragen noch schönheitbeseelt, was ist es dann, um im Sinne Nietzsches das Dasein und die Welt ewig- als Vergängliches ewig!- rechtfertigen zu können?

Was gibt uns heute auf der Erscheinungsseite das angemessene Gegengewicht zu einer Ewigkeit, aus der wir nicht tatsächlich, wohl aber dem Glauben nach herausgefallen sind?

Die Wahrnehmung. Im Wortsinn.
Die Erscheinung zeigt uns ihr wahres Gesicht nicht mehr ohne unser Zutun, und auch ihr schönes Gesicht schweigt.
Ihre Güte, ihr Wert liegt in der Wahrnehmung.
›Man suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie sind selbst die Lehre.‹ Goethe






Zur Sache, zum Ort.

Zu den Kisten. Wenn da Kisten stehen, stehen da blauverpackte Kisten. Kein metaphysisches Dahinter, keine Überbedeutung, kein Mehr.
Müllsäcke nimmt man normalerweise nur, um Müll zu verpacken und möglichst schnell loszuwerden, sich nicht mehr drum zu kümmern. Den Inhalt der Kisten sieht man nicht, er ergibt sich jedoch aus dem Titel der Arbeit, Großer Abflug, von dem der Kleine Auszug, die Dokumentation der letztjährigen Präsentation, ein Bestandteil ist. Wenn alles in der Umgebung statisch und fixiert aussieht, empfiehlt sich Mobilität.
Zu dem Parkplatz. Normalerweise steht hier gar nichts, es handelt sich ja um die Einflugschneise* für diejenigen , die in diesem Haus zwischenlanden wollen. Einflugschneisen darf man eigentlich nicht blockieren- es sei denn, die Abflugfrequenz ist so stark wie heute**.
Zum Format der Grundfläche 70x100. Das Bild paßt nur in diesen Rahmen, daher wird es nie wieder so gezeigt werden wie hier und heute. (…)
So, und mehr gibt s nicht.

*Bewerbungsmappenabgaberaum
**Prüfungstag


Ansprache anläßlich Meisterschülerprüfung UdK Berlin14.07. 2008

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

An was haftet "man" heute?
Ist "man" in diesem Existentialismus frei von Sehnsüchten?
Sind Sehnsüchte schön oder unschön ?
Ist das Kündbare automatisch schön ?
Ist Poesie zeitlos ?
Ist der Tod eine Erscheinung ? Eine Abstrakte ?
Warum glauben wir aus der Ewigkeit herausgefallen zu sein ?
Warum sind wir es tatsächlich nicht ?
Warum brauchen wir ein Gegengewicht zu einer Ewigkeit ?
Gibt es Antworten ?

Anonym hat gesagt…

Ich habe gerade mal per google (ich weiß, kein guter Ort) den Begriff existentielle Bodenhaftung "entblättert". Bei dem Nachvollzug wünsche ich eine amüsante Unterhaltung.
Michael

Anonym hat gesagt…

Ach, und dann noch:
das Bild find ich schön
Michael

Anonym hat gesagt…

blaue kisten verwandeln sich durch die wahrnehmung in wahrgenommene blaue kisten, deren blaeue zu leuchten beginnt und deren inhalt entschwindet. guten flug!

urs

Anonym hat gesagt…

bild sagt genau das was unsere leben ist. es ist eine geschlossene einfart! man fraegt nicht und bringt trotzdem viele in himmelsblau gepackte kisten vor tuer. wagen stehet so als ob es so gedacht wurde von fotograf damit es nicht weiter faehrt,weil er etwas gedacht hat und nicht im woerter fassen konte und nicht in anders als mit einfachen kamera aufnehmen konnte. und vor iesem bild wird viel ums wahrnemung des esthetisches im worte erzaelt und ueberlegt....
so ist auch in unserem gerechtfertigtem dasein... wenn es nicht eine andere gebe welche MENSCH heist auch und interesse hat an mich als MENSCH, weil ich auch denken fuehlen und wollen kann und ennormen aber andere erfahrungen mit bringe...
es ist schoen in europa weil ueber esthetik und wahrnemen wird geschprochen und gedacht aber ...
lasha
GEORGIEN