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Mittwoch, 30. Januar 2008

Dienstag, 22. Januar 2008

Geschichte ohne Anfang und Ende

Johannes Nilo

Hat die Geschichte einen Sinn? Wir hätten es gern, aber wie ist es jetzt wirklich? Wenn sie einen Sinn hat, woher nimmt sie oder bekommt sie ihn? Das sind Fragen, die uns unmittelbar angehen, insofern wir die Geschichte nicht als Abstraktum, sondern als eine zutiefst menschliche und deshalb konkrete Angelegenheit auffassen. Stefan Brotbeck zitierte in seinem Eröffnungsvortrag am 3. Oktober 2007 (siehe voriger Post) Rudolf Steiner: ›Die Geschichte hat aufgehört, Sinn zu haben, weil Anfang und Ende weggefallen sind.‹ Wie ist diese Aussage zu verstehen? Auch in den kosmologischen Entwürfen der Neuzeit ist von Anfang und Ende die Rede. Der springende Punkt ist aber, dass der Mensch – im Unterschied zu alten Kosmogonien – in diesen keinen Platz hat. Als Anfang wird hypothetisch der Urnebel und am Ende ebenso hypothetisch der Wärmetod vorgestellt, ein Zustand, wo alles in eine gleichmäßige Wärme aufgegangen und wo der Mensch abgeschmolzen sein wird. Diese so vorgestellte Anfang und Ende haben nichts in sich, was der Geschichte Bedeutung und Sinn verleiht. ›Die Geschichte wird sinnlos. Und der Mensch ist nur nicht mutig genug in unserer Zeit, sich zu gestehen, daß die Geschichte sinnlos ist, sinnlos aus dem Grunde, weil ihm entfallen ist Erdenanfgang und Erdenende.‹
Gerade durch dieses Sinnloswerden kommt die Geschichte in die Lage, eigentlicher zu werden, zu sich zu kommen. Der Mensch wird Subjekt der Geschichte und die Geschichte wird Mensch. Georg Picht hat diesen Vorgang in dem Ereignis vom Tod Gottes, wie es Nietzsche formuliert, gesehen. Es handelt sich um das größte Ereignis der Geschichte der Menschheit überhaupt, weil sie durch dieses Ereignis freigesetzt wird ›eine Geschichte zu sein, in der sich der Mensch als sein eigenes Kunstwerk hervorbringt und so zum Subjekt seiner Geschichte wird. Im strengsten Sinne des Wortes beginnt die Geschichte also erst mit dem Tode Gottes, Geschichte des Menschen zu sein. Deshalb bedeutet Geschichte für Nietzsche nicht die Kunde von dem, was gewesen ist, sondern er versteht die gesamte, auch die bisherige Geschichte aus dem Hinblick auf die zukünftige Geschichte, so wie er umgekehrt auch die zukünftige Geschichte als ewige Wiederkehr des Gleichen interpretiert. Der Tod Gottes ist das größte Ereignis der Geschichte, weil dieses Ereignis dem Menschen die Freiheit gewährt, seine gesamte Geschichte, so wie sie ist und wie sie sein wird, zu Gesicht zu bekommen und das heißt bei Nietzsche: hervorzubringen und zu wollen.‹
In diesem Sinne kann die Fortsetzung der oben angeführten Steiner-Aussage begriffen werden: die Geschichte ›[...] bekommt wiederum einen Sinn, weil ihr dieser Sinn von der Mitte aus gegeben wird.‹ Diese Sinngebung als eine Schöpfung aus dem Nichts zu verstehen, war Stefan Brotbecks Anliegen.

Montag, 14. Januar 2008

Was noch gar nicht zur Welt gekommen ist


In drei Aufsätzen verfolgt Stefan Brotbeck die Frage der Zeit. Aktualisation, Schöpfung aus dem Nichts, Lebendige Ewigkeit – Motive und Themen seines Eröffnungsvortrags zu ANDERZEIT I erfahren hier eine Verschriftlichung. In wöchentlicher Folge erschienen sie in der Wochenschrift ›Das Goetheanum‹. Ein PDF, mit allen drei Texten, steht hier zum Download bereit(Den letzten Satz zum Download anclicken).

Dienstag, 8. Januar 2008

Der Zukunft andienen

Im Jahresrückblick ›Best of 2007‹ der Neuen Zürcher Zeitung war unter der Rubrik Kunst zu lesen: ›Die Documenta Kassel, die im Sommer zum zwölften Mal stattfand und von Roger Buergel und seiner Frau Ruth Noack kuratiert wurde, diente sich der Zukunft auf seltsame Weise an. Vieles an der Schau sprach dafür, dass sie eigentlich gar nicht für die Gegenwart, sondern vor allem dafür gedacht war, in zwanzig oder dreissig Jahren wiederentdeckt zu werden.‹

Dienstag, 1. Januar 2008

æsthetische erfahrung als modus der zivilgesellschaft

Johannes Nilo

›Heute erscheint ästhetische Bildung als die einzig tragfähige Alternative zu Didaktik und Akademismus auf der einen und Warenfetischismus auf der anderen Seite‹, so Roger M. Buergel, künstlerischer Leiter der ›documenta 12‹. Diese Kunstausstellung formulierte programmatisch und praktizierte einen Bildungsbegriff, welcher für unsere Suche nach der Gegenwart behilflich sein kann und deshalb hier vergegenwärtigt werden soll.
Viel mehr als eine Kunstausstellung im gewohnten Sinn, wollte die documenta einen Erfahrungsraum bieten, der Zugänge zu den komplexen Lebenszusammenhängen der heutigen vernetzten und globalisierten Welt eröffnet. Kunst sei stets die Erfahrung eines bestimmten Verhältnisses von Individuum, Gesellschaft und Umwelt, schreibt Buergel und setzt fort: ›Wollen wir dieses Verhältnis nüchtern und wertfrei betrachten, ja vielleicht neu bestimmen – es wäre an der Zeit – so brauchen wir ein Mittel, das uns unseren unmittelbaren Lebenszusammenhängen entrückt. Dieses Mittel ist nicht die Kunst selbst, wohl aber die Kunsterfahrung – die Begegnung mit einer Größe, die beginnt, wo Bedeutung im herkömmlichen Sinne endet.‹ Kunst ermöglicht eine bestimmte Form von Bildung. Eine ästhetische Bildung, welche die Objekte der Welt nicht lehrhaft, nicht informativ, sondern ästhetisch zueinander in Beziehung setzt, ›um sie in ihrem ‚So-Sein‘ erstrahlen zu lassen‹. Einen solchen Lernprozess wollte die documenta anstoßen. Eine kollektive Kunsterfahrung wie die documenta könne eine Zivilgesellschaft ausbilden, ›die unendliche Lust empfindet angesichts der Komplexität von Ich und Welt und dem Spannungsverhältnis, in dem beide zueinander stehen. Eine Zivilgesellschaft, die bereit ist, den Blick für Zusammenhänge zu öffnen, falsche Offensichtlichkeiten aufzukündigen und sich wenigstens für die Dauer eines Ausstellungsbesuches auf dem bodenlosen Grund ästhetischer Erfahrung zu bewegen.‹
Wir bewegen uns hier auf einem Terrain, das eine produktive Spannung in sich birgt. Einerseits sind wir dem unmittelbaren lebensweltlichen Druck entrückt und einer ästhetischen Bedeutung von Welt und Ich jenseits der logischen und eingeübten Bedeutung und weltlichen Sachzwänge hingegeben. Andererseits verspüren wir eine Dringlichkeit, selber in die Lebenszusammenhänge einzugreifen, real produktiv zu werden. Und es fällt auf, die Künstler und Künstlerinnen der documenta sind in der Welt tätig, sie arbeiten an der Gesellschaft aktiv mit. Dieser aktivistische Aspekt ist in dem letzten der drei Leitmotive der documenta, das der Bildung gilt, festgehalten. Da wird schlicht gefragt ›Was tun?‹ Anknüpfend an das oben Zitierte könnte man sagen es sei an der Zeit, die Lebenszusammenhänge neu zu bestimmen, und die ästhetische Bildung gibt uns hierzu ein Mittel an die Hand.