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Donnerstag, 19. Juni 2008

oberflæchen

Johannes Nilo

›Meine Arbeiten brauchen ihre Zeit. Sie ermöglichen es den Betrachtern, das Entstehen einer Erscheinung zu erleben. Sie sind Ausdruck einer visuellen Zurückhaltung, mit der ich die Wahrnehmung zu einer erfahrenden Gegenwart verlangsamen möchte.‹ So beschreibt Tom Chamberlain seine Arbeiten, die vor nunmehr zwei Wochen auf der Art Basel mein Interesse weckten. Meine Schritte verlangsamen sich zwischen den 5000 ausgestellten Werken. Das ziellose Gehen durch diese hochartifizielle Welt wird selbst Teil der Kunsterfahrung. Die Menschen scheinen zu schweben.

Ein Aquarell von Paul Klee hat meine Aufmerksamkeit, nachdem ich entdeckt habe, wie klug das Bild in der Gesamtkonstellation der Galerie inszeniert ist. An der gegenüberliegenden Wand hängen hochglänzende blaue und schwarze Flächen aus der Serie Lighter von Wolfgang Tillmans. Es handelt sich um ›Fotografien‹, die ohne Kamera direkt im Labor dem Licht ausgesetzt worden sind. Dazwischen ist ein Werk platziert, wo vor allem die Materialien auffallen, Sand, Gummi, Rost, durch Wasser und Wind bearbeitetes Holz. Dann sehe ich plötzlich, dass die Wand, wo der Klee hängt, nicht wie die anderen Wände weiß gestrichen ist, sondern hell braun.

Ich befinde mich in einer Welt der Oberflächen, wo unerwartete und neue Bezüge auftauchen. Man begibt sich in einen Raum jenseits der Funktionalität und logischen Bedeutung der Dinge und lässt den Sinn zwischen den Werken und dem Betrachter frei zirkulieren. Das Gefühl, das hier entsteht, ist am ehesten als leicht zu bezeichnen.

Eine frühe Zeichnung Andy Warhols aus den 50er Jahren ist exemplarisch leicht. Keine künstliche Tiefe, keine Ansprüche, die über das hinausgehen, was tatsächlich vorliegt. Eine freie Anordnung von Schmetterlingen in kindlich schlichten Linien ausgeführt. Diese Zeichnung ist einfach, was sie ist, sonst nichts.

Chamberlain geht weiter: ›Meine Arbeiten geben keine Hinweise darauf, was zu ihren Oberflächen gehört und was nicht. Es geht mir um die visuelle Erfahrung von etwas, das unmittelbar bevor steht – oder schon verschwunden ist.‹ Im Handout seiner Berliner Galerie Aurel Scheibler ist zu lesen: ›Tom Chamberlains Werke definieren einen Entstehungsprozess und verfestigen sich schließlich zu einer Möglichkeit oder einer Illumination‹. Eine auffallende Formulierung. Wäre nicht eine Möglichkeit, die sich verfestigt, schon Wirklichkeit? Was wird aus der Möglichkeit, wenn man sie so behandelt wie sonst nur die Wirklichkeit, wenn sie aus eigenem Recht und nicht bloß als Negation der Wirklichkeit gewürdigt wird? Ist es die Zeit selbst, auf die wir hier stoßen?

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

möglich ist jeder Zeit alles (wenn die Logik als ausschließende Kraft ausgeschlossen bleibt); möglicherweise bis es wirklich Wirklichkeit wird; erst dann verliert es seine Möglichkeit. Eine konkrete Situation, etwas weit hergeholt vielleicht, aber warum nicht:
Kampf Kunst, Aikido. Das Setting schreibt vor, dass derjenige Aikido "macht", der nicht angreift. Hat der Angreifer die innere Entscheidung getroffen, anzugreifen, ist es ihm unmöglich, nicht anzugreifen, und erst dann verteidigt der Aikido Machende. Äußerlich ist für einen Moment noch nichts sichtbar, aber möglich ist auch nur noch das, was gleich passieren wird. Das verabredete Setting setzt das alles möglich nicht außer Kraft, formt es aber, bevor es geformt erscheint. Dummes Zeug? Möglicherweise. Aber im Betrachten aesthetischer Prozesse ist das vergleichbare Setting das Verstehen wollen, statt das Verstehen einfließen zu lassen, es erscheint möglicherweise dann, früher oder später, in dem Raum zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten. Und das, obwohl es gleich da sein kann.

Anonym hat gesagt…

ergänzend, als wäre dies hier ein Selbstgespräch. Patrick Roth, Corpus Christi S.87:
" wenn er sich vor dich stellte: du sähst ihn nicht. Wenn aber, langsam sich wendend, ein Fremder, der mit dem Rücken vor dir gestanden, noch im Wenden die Möglichkeit dir gäbe, ihn, diesen Fremden, zu sehen, indem er sich fast zeigte - denn das ist ja das Wenden, die Möglichkeit, zu sehen -, dann hättest du, selbst wenn der Blick jetzt abgeschnitten würde, erfaßt, worum es geht. Nein, besser noch, du wärst in diesem Wenden miterfaßt. Denn jetzt ergänzt du, was du nicht gesehen hattest. Ergänzt das "fast" und macht es ganz. Erkennst den Fremden voll und ganz."