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Dienstag, 22. Januar 2008

Geschichte ohne Anfang und Ende

Johannes Nilo

Hat die Geschichte einen Sinn? Wir hätten es gern, aber wie ist es jetzt wirklich? Wenn sie einen Sinn hat, woher nimmt sie oder bekommt sie ihn? Das sind Fragen, die uns unmittelbar angehen, insofern wir die Geschichte nicht als Abstraktum, sondern als eine zutiefst menschliche und deshalb konkrete Angelegenheit auffassen. Stefan Brotbeck zitierte in seinem Eröffnungsvortrag am 3. Oktober 2007 (siehe voriger Post) Rudolf Steiner: ›Die Geschichte hat aufgehört, Sinn zu haben, weil Anfang und Ende weggefallen sind.‹ Wie ist diese Aussage zu verstehen? Auch in den kosmologischen Entwürfen der Neuzeit ist von Anfang und Ende die Rede. Der springende Punkt ist aber, dass der Mensch – im Unterschied zu alten Kosmogonien – in diesen keinen Platz hat. Als Anfang wird hypothetisch der Urnebel und am Ende ebenso hypothetisch der Wärmetod vorgestellt, ein Zustand, wo alles in eine gleichmäßige Wärme aufgegangen und wo der Mensch abgeschmolzen sein wird. Diese so vorgestellte Anfang und Ende haben nichts in sich, was der Geschichte Bedeutung und Sinn verleiht. ›Die Geschichte wird sinnlos. Und der Mensch ist nur nicht mutig genug in unserer Zeit, sich zu gestehen, daß die Geschichte sinnlos ist, sinnlos aus dem Grunde, weil ihm entfallen ist Erdenanfgang und Erdenende.‹
Gerade durch dieses Sinnloswerden kommt die Geschichte in die Lage, eigentlicher zu werden, zu sich zu kommen. Der Mensch wird Subjekt der Geschichte und die Geschichte wird Mensch. Georg Picht hat diesen Vorgang in dem Ereignis vom Tod Gottes, wie es Nietzsche formuliert, gesehen. Es handelt sich um das größte Ereignis der Geschichte der Menschheit überhaupt, weil sie durch dieses Ereignis freigesetzt wird ›eine Geschichte zu sein, in der sich der Mensch als sein eigenes Kunstwerk hervorbringt und so zum Subjekt seiner Geschichte wird. Im strengsten Sinne des Wortes beginnt die Geschichte also erst mit dem Tode Gottes, Geschichte des Menschen zu sein. Deshalb bedeutet Geschichte für Nietzsche nicht die Kunde von dem, was gewesen ist, sondern er versteht die gesamte, auch die bisherige Geschichte aus dem Hinblick auf die zukünftige Geschichte, so wie er umgekehrt auch die zukünftige Geschichte als ewige Wiederkehr des Gleichen interpretiert. Der Tod Gottes ist das größte Ereignis der Geschichte, weil dieses Ereignis dem Menschen die Freiheit gewährt, seine gesamte Geschichte, so wie sie ist und wie sie sein wird, zu Gesicht zu bekommen und das heißt bei Nietzsche: hervorzubringen und zu wollen.‹
In diesem Sinne kann die Fortsetzung der oben angeführten Steiner-Aussage begriffen werden: die Geschichte ›[...] bekommt wiederum einen Sinn, weil ihr dieser Sinn von der Mitte aus gegeben wird.‹ Diese Sinngebung als eine Schöpfung aus dem Nichts zu verstehen, war Stefan Brotbecks Anliegen.

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