Louis Defèche
junger Schauspieler und Regisseur, berichtet aus seiner experimentellen Forschung zur Frage nach dem Wesen des ›Schau-spielens‹.
Ich habe beobachten können, wie der Impuls des Bühnenereignisses rein aus dem Willen entsteht. Das heisst aus dem ›Gehen‹. Nicht aus Gefühlen und Gedanken, die erst in Folge auftreten. Nicht dass Gedanken und Gefühle auf der Bühne nichts zu suchen hätten, aber sie können erst auf der Bühne leben, wenn sie aus reinen Willensimpulsen hervorgehen. Der vor der Bühne sitzende Zuschauer will etwas fühlen und verstehen, aber dieses Verstehen und dieses Fühlen muss als Konsequenz der Willensprozesse erscheinen. Dann wirken Verstehen und Fühlen eigentlich, weil sie nicht nur als Gefühle oder Gedanken auftreten, sondern als Kraft. Ich möchte sagen: die Kraft einer Gedankenform, die Kraft eines lebendigen Gefühls. Sonst muss sich der Zuschauer immer bemühen, in das Bühnenereignis hinein zu kommen, und wird dabei eher Kräfte verlieren statt Kräfte zu bekommen.
Die andere Seite ist die Erzählung, die Bilder, die man zeigen möchte, die man sehen, verstehen, miterleben möchte. Aber diese können nur echt auf der Bühne leben, wenn die angedeutete Grundlage als inneres Verständnis beim Schauspieler da ist, dass alles aus ›Willensstoff‹, aus ›Geh-Impulsen‹ gestaltet sein soll.
Was mich überrascht hat ist, dass die Schauspieler oft versuchen, Gefühle zu schaffen oder Gedanken mitzuteilen. Während das überhaupt nicht das Wichtigste ist. Auch habe ich beobachten können, wie der Zuschauer durch echtes Schauspielen belebt und erweckt wird, indem Kräfte von der Bühne zu ihm herabfließen, und wie er dagegen eher müde und unaufmerksam wird, wenn zu wenig Wille auf der Bühne lebt.
Es ist vielleicht ein bisschen gewagt, was ich da erzähle, und will unbedingt weiter erforscht werden, doch so stehen meine Gedanken im Moment.
[Text bearbeitet von Philipp Tok | Korrektur Lisbeth]
Montag, 21. Juli 2008
schau-spielen
Mittwoch, 16. Juli 2008
Montag, 7. Juli 2008
er
æsthetische erfahrung in zeiten des weissen rauschens (ii)
ihn zu übersehen war ein leichtes und wäre da nicht diese ruhe um ihn gewesen, so hätte ihn mein blick kaum gestreift. so aber konturierte sich zunächst das rote ornament entlang des etwas hilflos geschnitzten indianerbootes, das hier inmitten der grossstadt einen kleinen park aufwertete. der mann, der wohl dubois heissen könnte, befand sich gleichsam im mittelpunkt eines bildes, dessen komposition ich zunächst als ganze erfasste und die vollkommen schien. dieser moment birgt die æsthetische erfahrung, die wesentlich und immer durch unausgesprochene ganzheit geprägt ist. mit nur leichter verzögerung blitzten die einzelnen bildelemente auf, sich wie in einem relief kurz abhebend: die geschwungene spitze des bootes, die bemalten holzklötze, auf dem es ruht, die sorgsam – als sässe er zuhause – am boden aufgesetzten füsse des mannes, der die schiefe exotik seiner sitzfläche wohl nicht wahrnahm. daß der baum hinter ihm gleichsam aus seinem rücken hervorwuchs, lag an meinem – nicht gewählten – blickwinkel, gab dem bild jedoch einen inneren halt. mag sein, daß erst diese aufrechte linie mich zum stehen bleiben bewog und die fotografie veranlasste, die mir jetzt zur betrachtung zur verfügung steht. sah ich damals, was ich jetzt sehe? lässt sich die æsthetische erfahrung wiederholen – oder erinnern? ob die ursprüngliche erfahrung am stärksten war, kann ich nicht beurteilen, sie war aber eines: gesättigt und unwiederholbar. sie enthielt neben dem ›bildaussschnitt‹ die ganze peripherie in ihrer umfassenden sinnlichkeit. die erinnerung unterwegs – noch vor dem betrachten der fotografie – war stark, aber unscharf im nachklang. das fotografische bild jedoch verdrängte sofort das ursprüngliche und erzeugte eine neue, genuine erfahrung, die sich beliebig vertiefen und durch eingehende betrachtung laufend verändern lässt.
Dienstag, 1. Juli 2008
mehr gibt s nicht
Lisbeth
Also – wenn Kunst von Künden kommt und es nichts mehr in unserem Bewußtseinshorizont gibt, von dem man künden könnte, anders als es ein alter Ikonenmaler oder ein Rembrandt erlebt haben muß, um seine Bilder zu verfassen – schließt sich dann nicht jede Verkündigungskultur endlich auch aus unserer Gegenwartskunst aus?
Muß die Sehnsucht nach dem Ewigen, von dem wir nicht tatsächlich, wohl aber dem Glauben nach weit entfernt sind – muß diese Sehnsucht dann nicht notwendig Bildformen vermeiden, die wirklichem Ewigkeitserleben vorbehalten waren und eine höhere Wirklichkeit vermittelt haben?
Inhaltlich wie formal eine Absage an die Ewigkeit zu treffen gelingt Künstlern wie Katja Strunz oder Anselm Reyle, beide Berlin, durch das Ankommen im ganz Bestimmten, das für nichts mehr offen ist als für sich selbst. Geschlossene Formen, in die nichts mehr einfließt als das, was die Form gebildet hat.
Katja Strunz konstruiert spitzwinklige Wandstücke aus laminiertfurniertem Holzimitat. Es könnten etwas verschobene, verzogene Papierfliegerformen sein, hingen sie nicht so aggressiv und schwer und unverrückbar an der Wand. Anselm Reyle setzt achtlos zerknitterte Geschenkfolie hinter wichtiges Plexiglas, dann sieht s nach was aus, oder verchromt in aufwendigen Verfahren Müllcollagen. Das Endprodukt wiegt so schwer, daß es acht Leute braucht, um aufgestellt zu werden.
Kein Entkommen in eine andere Möglichkeit. Kein Entkommen in ein Dahinter, in eine größere Idee, in die der Müll nur verweist. Nein, genau auf das, was sichtbar vor Augen steht, kommt es an. Mehr gibt s nicht. Kein Ausweg. Den man sich als Betrachter mitunter wünscht, denn – schön ist eigentlich was anderes.
Kein Mehr als das Wenige, das da ist. Ein Weniges, das kein Mehr kennen darf um sich ohne Netz über dem Abgrund zu halten. Durchschlag in existentielle Bodenhaftung.